STALAG VI A
STALAG VI A line
*


Inhalt
*
Vorwort
Hemer
STALAGs
STALAG VI a
Beschreibung
Westgef.& Polen
Sowjets
Statistik
Berichte
Personal
Arbeitseinsatz
Übergabe
Befreiung
Friedhöfe
Kaserne
Mahnmal
Entschädigung
Lagerplan
Literatur
Impressum
e-mail

8. März 2000

Screen design:
    Dr.H. Fritsch


10. Arbeitseinsatz von Ausländern in der deutschen Wirtschaft in der Zeit der NS - Herrschaft

Der Einsatz von ausländischen Arbeitskräften stand direkt in Zusammenhang mit dem Mangel an deutschen Arbeitskräften. Nach dem Angriff auf Polen wurde erstmals in größerem Umfang der Einsatz von Kriegsgefangenen möglich. In den besetzten Gebieten wurde darüber hinaus systematisch durch Anwerbung freiwilliger Arbeitskräfte und - weil das nicht ergiebig genug war - durch Verschleppung ein Arbeitskräftepotential beschafft.
Nach Beginn der Krieges gegen die UdSSR verzichtete man vorerst auf eine systematische Ausbeutung der sowjetischen Arbeitskräfte, solange noch die Vorstellung eines Kriegsendes im Herbst 1941 (Blitzkrieg) bestand. Erst als sich abzeichnete, daß der Krieg länger dauerte (Abnutzungskrieg), ging man dazu über, sowjetische Kriegsgefangene und deportierte Arbeitskräfte systematisch in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Vorher hatte man eher über eine Verschleppung nach Sibirien nachgedacht oder grundsätzlich ein Verhungernlassen der Gefangenen angestrebt. So erklärt sich auch, daß schon im September 1941 etwa 1,4 Mio. russische Kriegsgefangene gestorben waren.
Gegen den Widerstand der nationalsozialistischen Ideologie waren im Spätsommer 1941 schon 2,1 Mio. zivile Arbeitskräfte und 1,2 Mio. Kriegsgefangene im Reich. Nur mit den Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten war die auf Hochtouren laufende Kriegswirtschaft möglich.
Ab Okt. / Nov. 1941 wurde dann offensiv auch der Arbeitseinsatz russischer Kriegsgefangener betrieben. Einen Höhepunkt erreichte der Arbeitseinsatz von Ausländern im August 1944:
Nationalitäten Zivilarbeiter Kriegsgefangene
Belgier 203.362 50.386
Franzosen 654.782 599.967
Italiener 158.099 427.238
Niederländer 270.304
Sowjets 2.126.753 631.559
Polen 1.659.764 28.316
„Protektoratsangehörige“ 280.273
Insgesamt 5.721.883 1.930.087
Fremdarbeiter zusammen 7.615.970

Der Einsatz von Kriegsgefangenen ähnelte dem der (zivilen) Ostarbeiter, war jedoch entschieden härter und war für die slawischen Gefangenen nicht nur auf Sklavenarbeit, sondern zeitweise auch auf physische Vernichtung bedacht.
Von den 5,7 Millionen registrierten Zivilarbeitern waren 1.924.912, d.h. ein Drittel, Frauen; von ihnen stammten 87 % aus Osteuropa.
Wieweit die deutsche Kriegswirtschaft 1944 von ausländischen Arbeitskräften abhängig war, belegen ausgewählte Berufsgruppen:
In der Landwirtschaft waren 46,4 % der Beschäftigten Ausländer, im Bergbau 33,7 %, im Baugewerbe 32,2 %, in der Metallindustrie 30,0 %, in der Chemie 28,4 % und im Verkehrswesen 26,0 %. In der gesamten Wirtschaft belief sich der Ausländeranteil auf 26,5 % .

Der Arbeitseinsatz von Ausländern in Hemer

Kleinere Unternehmen betrieben häufig Gemeinschaftslager, während große Firmen eigene Unterkünfte errichteten, in denen viele hundert, manchmal über tausend Gefangene zusammengepfercht waren. In Stadt und Amt Hemer waren die Lager der Arbeitskommandos einzelner Firmen oder die Gemeinschaftslager kleiner. Nach einer amtlichen Liste sollen sich im Zeitraum vom 3. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 zu unterschiedlichen Zeiten und mit verschiedener Dauer zwölf Lager außerhalb des Stalag befunden haben, in denen etwa 700 Kriegsgefangene und Fremdarbeiter gemeinsam untergebracht waren.
Manche Firmen beschäftigten zusätzlich Kriegsgefangene, die täglich aus dem Stammlager kamen. Zahlreiche Firmen, die nicht über eigene Baracken verfügten und sich auch am “Gemeinschaftslager” nicht beteiligten, hatten oft wenige, manchmal nur einen einzigen Kriegsgefangenen in ihrer Belegschaft. Gegen Kriegsende waren in etwa 80 Unternehmen in Stadt und Amt Hemer 484 Kriegsgefangene tätig: 7 Belgier, 340 Franzosen, 26 Polen, 68 Sowjets, 25 Jugoslawen und 18 unbekannter Nationalität.

Der “Russeneinsatz”

An einen Arbeitseinsatz der sowjetischen Gefangenen hatten Reichsregierung und OKW in der 1. Phase nicht gedacht und deshalb Transport, Unterkünfte und Einsatz der bald 2 bis 3 Millionen nicht vorbereitet. Zum einen rechnete man wieder mit einem Blitzkrieg, der Gefangenenarbeit überflüssig machen würde, zum anderen wollten die Nationalsozialisten die Bolschewisten physisch vernichten, so daß ihnen der Tod von bald 2 Millionen Gefangenen nur recht war. Drittens war es für die Regierung, die NS-Ideologie und für die meisten Deutschen (denen man ständig suggeriert hatte, daß Arbeit adle) undenkbar, daß “Untermenschen” und “Tiere” (wie sie von der Propaganda dargestellt wur- den) die Plätze deutscher Arbeiter einnehmen könnten.
Trotzdem kamen bereits im Spätsommer 1941 Forderungen nach einem Arbeitseinsatz sowjetischer Gefangener auf. Auch das OKW konnte sich dem Drängen nicht völlig verschließen, bezeichnete aber in einer Verfügung vom 2. August 1941 die Verwendung sowjetischer Kriegsgefangener innerhalb der Reichsgrenzen als ein notwendiges Übel, das auf ein Mindestmaß zu beschränken sei.
Vor allem der Ruhrbergbau machte sich zum Vorreiter eines Einsatzes auch sowjetischer Arbeitskräfte im Reich, den Parteileitung und Reichssicherheitshauptamt weiterhin ablehnten. Im Oktober / November 1941 kam es zu einem Entscheidungsstreit über diese Frage - im wesentlichen zwischen Hitler und Göring. Hitler bestand auf einer Vernichtung des Bolschewismus und damit auch der Gefangenen, während Göring aus seiner Interessenlage schnell Ersatz für 100.000 französische Gefangene benötigte, die er für die Luftwaffenindustrie reklamiert hatte. Es gelang ihm schließlich, Hitler einen Kompromiß abzuringen, der sich in einem Erlaß des OKW vom 31. Oktober 1941 und einem Görings vom 7. November niederschlug. Darin wurde grundsätzlich der Arbeitseinsatz russischer Kriegsgefangener verfügt, allerdings nur für Landwirtschaft, Hoch- und Tiefbau sowie für den Bergbau und ggf. andere, wenig qualifizierte, aber schwere Arbeit. Schlechte Unterkünfte und Verpflegung wurden von Göring ebenso vorgegeben wie schwere Strafen bei leichten Vergehen.
Tatsache ist, daß beide Bestrebungen, Vernichtung wie Ausbeutung - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - Millionen sowjetischer Soldaten Leben oder Gesundheit geraubt haben.

Der Arbeitseinsatz im Bergbau

Die Arbeit unter Tage war die schlimmste, zu der Kriegsgefangene in ohnehin schlechtem Gesundheitszustand eingesetzt wurden.
Im Zeitraum vom 1. Juli bis 10. November 1943 starben allein im Ruhrbergbau 27.638 Gefangene. Das OKW konstatierte, daß im ersten Halbjahr 1944 im Bergbau ein “Abgang” von 32.326 sowjetischen Kriegsgefangenen zu verzeichnen sei und der “durchschnittliche monatliche Verbrauch [!] an sowj. Kr.Gef. im Steinkohlenbergbau rd. 5.000 Kräfte oder 3,3 % beträgt”.
Unter „Abgang” verstand es dabei den Transport in Stammlager oder Lazarette wegen Krankheit, Todesfälle in Arbeitskommandos sowie Fluchten. Hochgerechnet auf ein volles Jahr bedeutet das einen Ausfall von etwa 40 %!
Die meistgenannten Todesursachen waren Lungenentzündung, Tuberkulose, Herz- verletzungen), Luftangriffe, Vergiftung (Sepsis) und vor allem ab 1945 Alkoholvergiftung durch schwarz gebrannten Schnaps oder entwendeten Methylalkohol. Aus Berichten der Kommandeure der Kriegsgefangenenlager und des Internationalen Roten Kreuzes waren viele Mißstände bekannt, die zu Krankheit, Arbeitsuntauglichkeit und Tod führten:
  • Unterkünfte waren überbelegt, voll Ungeziefer, die Nachtruhe war nicht gesichert, Decken fehlten
  • Die Verpflegung war schlecht
  • Die Gefangenen kamen manchmal mit nasser Kleidung aus der Grube und fuhren am nächsten Tag wieder ein, ohne sie vorher trocknen zu können
  • Die Arbeitskleidung war unzulänglich
  • Unfallverhütungsvorschriften wurden nicht eingehalten
  • Gefangene wurden mißhandelt
  • Die Untersuchungen auf Bergbautauglichkeit waren oberflächlich, in Einzelfällen untersuchten Zivilärzte bis 200 Kriegsgefangene in einer Stunde
  • Kranke wurden verspätet dem Arzt vorgeführt, noch nicht Gesunde bereits wieder untertage eingesetzt.

Die “Entlohnung” der Kriegsgefangenen

Das komplizierte, mehrfach geänderte und nach Branchen differenzierte Entlohnungssystem für die Kriegsgefangenen detailliert nachzuzeichnen, wäre zu umfangreich. Die Darstellung konzentriert sich daher auf die Grundsätze und beschreibt nur die Entlohnung sowjetischer Kriegsgefangener etwas genauer. In der Regel zahlte der Unternehmer 80 % der Tarif- bzw. ortsüblichen Akkordlöhne an den Reichsfiskus, zuzüglich einer Pauschalsteuer von 10 %. Ferner mußte er einen bestimmten Betrag (anfangs 0,06 RM je Arbeitsstunde bzw. 0,54 RM je Arbeitstag oder 13,50 RM je Monat, ab Juni 1940 je Arbeitstag 0,80 RM) an die zuständige Wehrmachtsstelle abführen. Die Beträge wurden, ggf. gekürzt, den eingesetzten Gefangenen in Lagergeld ausgezahlt; die polnischen Kriegsgefangenen erhielten weniger. Ab 1. April 1943 wurden den Westgefangenen bei freier Unterkunft und Verpflegung je Arbeitstag 0,70 RM, den polnischen 0,50 RM ausgezahlt.
Für die Arbeit der Kriegsgefangenen zahlten die Arbeitgeber wegen zusätzlicher Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, Pauschalsteuern, Sozialkosten und Stalag-Beitrag mehr als üblich, damit für sie kein Anreiz entstehen konnte, möglichst viele deutsche Arbeiter durch Kriegsgefangene zu ersetzen. Verschiedene weitere Erlasse des OKW wurden am 14. September 1944 zusammengefaßt. Eine darin enthaltene tabellarische Übersicht der Monatsarbeitslöhne gestattet einen Einblick in die “Lohnpolitik” des OKW. Danach wurden bei nicht-sowjetischen Kriegsgefangenen 50 % des Lohnbetrages eines „gleichartigen deutschen Arbeiters“ an das Stalag abgeliefert; der Gefangene selbst erhielt etwa 25 % des Lohns des deutschen Kollegen. Bei sowjetischen Kriegsgefangenen erhielt das verwaltende Stalag 66 % des deutschen Vergleichslohns, der Gefangene lediglich etwa 11,5 %.
Die Lohnkosten einschließlich Stalag-Anteil beliefen sich für den Arbeitgeber beim Einsatz von Kriegsgefangenen auf 70 bis 75 % der Kosten für einen vergleichbaren deutschen Arbeiter.

Die Arbeitsleistung der Kriegsgefangenen

Die durchschnittliche Leistung von Zivilarbeitern und -arbeiterinnen betrug 80 % derjenigen vergleichbarer deutscher Arbeiter, die durchschnittliche Arbeitsleistung der Kriegsgefangenen wurde mit 75 bis 80 % angesetzt. Diese Rechnungen und Schätzungen treffen vermutlich nur für die Zeit 1943/44 zu und müssen für die gesamte Kriegszeit und nach Nationalitäten differenziert werden. Die Leistung der belgischen und französischen Gefangenen war hoch, die der Polen niedriger. Weit darunter lag die der Sowjets und der Italiener. In den ersten Monaten ihres Arbeitseinsatzes betrug die Effizienz der Arbeit der Sowjets nur 30 % ihrer deutschen „Kollegen“. Nachdem viele Schwache gestorben waren und die Ernährung etwas verbessert wurde, stieg sie auf etwa 50 %. Im Bergbau wurde sie rechnerisch mit 50 % veranschlagt, durch zuzügliche Prämien sollte sie auf 70 % gesteigert werden. Die oben genannte Quote von durchschnittlich 75-80 % konnte nur durch eine brutale Auslese der Schwachen, ständigen Druck und lange Arbeitszeiten erreicht werden.